28. Juli 2022

"Blaue Briefe" für die Politik statt für uns Hausärzt:innen

Jan Winkler

Antwort der Vorsitzenden des Hausärzteverbands Baden-Württemberg, Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Susanne Bublitz, auf den Brief der KVBW: „Pflichtige hausärztliche Versorgung von Infektpatienten Ein Dank und eine dringliche Bitte“:
 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die durch den Gesetzgeber und die Krankenkassen auf Bundesebene zu verantwortenden Rahmenbedingungen bei hausärztlicher Tätigkeit sind nicht mehr tolerierbar.

Sie alle haben Anfang der Woche einen Brief der KVBW erhalten, indem es heißt:
„Wir bitten Sie, Ihre Maximalbelastung dankend kennend, als jeden einzelnen Haus- und Kinderarzt symptomatische Infektpatienten in jeder Praxis als Kernaufgabe des hausärztlichen Versorgungssegmentes zu versorgen.“

Weiter heißt es dort: „Gelingt uns dies nicht, ist die Rolle des Hausarztes im System und die der niedergelassenen Versorgung grundsätzlich in Frage gestellt, was wir alle nicht wollen. Bitte helfen Sie uns und sich selbst auch die derzeitige Situation zu meistern.“

Die Hausärzt:innen sollen es also wieder für alle richten? Der Hausärztliche Sektor hat in zwei Jahren Pandemie 87 % der Coronakranken und Coronaverdachtsfälle geräuschlos abgearbeitet und 11 Mio. Menschen in Baden-Württemberg geimpft.

Und obwohl uns das gelungen ist, wird „Die Rolle des Hausarztes im System und in der niedergelassenen Versorgung“ durch die Politik u.a. durch eine zunehmende Substitution ärztlicher Tätigkeit ungeachtet dieses Engagements derzeit grundsätzlich in Frage gestellt.

Die Aufreger haben sich in letzter Zeit gehäuft. Zuerst die sogenannte „erweiterte Medikamentenberatungen“ in Apotheken und die damit geschaffene Zersplitterung hausärztlicher Kerntätigkeiten, die zur Verunsicherung der Patient:innen führt und das genaue Gegenteil von guter Versorgung ist.

Danach die Streichung der TSVG-Neupatientenregelung und zuletzt nun der durch den Gesetzgeber zu verantwortende Wegfall der CSP-Zuschläge für diejenigen, die sich bisher in herausragender Weise um die Versorgung von Coronapatient:innen bemüht haben.

Die Vorstellung, dass wir ohne adäquate Bezahlung weiter über das zumutbare Maß hinaus Leistungen erbringen, für die personal- und ressourcenintensive Strukturen vorgehalten werden müssen, ist schlicht abwegig.

Man kann der Politik dann eben nicht mehr versprechen, dass wir weiter kostenneutrale spezialisierte Coronaschwerpunktpraxen mit Versorgung von Infektpatient:innen außerhalb der üblichen Sprechzeiten mit großem Engagement vorhalten und damit eine Rundum-Versorgung gewährleisten. Das ist nun eben vorbei. Dies werden wir unmissverständlich dann auch genauso in Richtung Politik kommunizieren.

Die Feststellung der KVBW, dass „die Versorgung symptomatischer Infektpatienten […] grundsätzliche Kernaufgabe jeder haus- bzw. kinderärztlichen Praxis [ist]“, möchten wir wie folgt kommentieren: Wir Hausärzt:innen versorgen unsere Infektpatien:innen!

Der gesamte hausärztliche Sektor hat in den vergangenen zwei Jahren über 2 Mio. Diagnose- und Verdachtsfälle von COVID versorgt. Wir werden dies nun auch nach Wegfall von Zuschlägen zu Sonderleistungen im üblichen Umfang unserer üblichen Sprechzeiten weiterhin tun. Das ist auch unser Appell an die Kolleginnen und Kollegen.

Die Frage, inwiefern sich die Kolleg:innen des fachärztlichen Sektors (Versorgung von akuten Patienten ist ärztliche Kernkompetenz) an der Versorgung beteiligen, darf gestellt werden. Wir nehmen an, die KVBW wird das Versäumnis nachholen, auch die Fachärzt:innen entsprechend anzusprechen.

Besser als einen „blauen Brief“ an die Hausärzt:innen, hätten wir einen blauen Brief an die Politik gefunden, den wir gerne bereit sind zu unterstützen.

Balkonapplaus ist kein gültiges Zahlungsmittel!

Durch das Erlauben von Großveranstaltungen, die Aufhebung der Maskenpflicht in Innenräumen und weiteren Maßnahmen verschärft die Politik die Pandemie. Die Menge der daraus resultierenden Infektpatient:innen ist derzeit für viele Hausarztpraxen schlicht kaum noch zu bewältigen. Wenn PCR-Tests weiter politisch gewünscht sind (Rechtsanspruch steht im Gesetz) muss der Mehraufwand für diese Rundum-Versorgung und Sonderaufwand auch bezahlt werden. Tägliche Überstunden des Praxisteams können wir nicht ohne Zuschläge finanzieren.

Auch müssen dringend bürokratische Hürden abgebaut werden, beispielsweise ist die Wiedereinführung der Telefon-AU zwingend erforderlich. Die Behandlung und Beratung von Coronapatient:innen erfordern im ambulanten Bereich erhebliche organisatorische und personelle Ressourcen. Coronaschwerpunktpraxen und der gesamte hausärztliche Sektor haben in den letzten Jahren maßgeblich und verlässlich dazu beigetragen, den Schutzwall für die Krankenhäuser aufrechtzuerhalten.

Obwohl die Versorgung chronisch kranker Menschen, anderweitig akut erkrankter Patient:innen sowie Präventionsleistungen uns in der nun anstehenden Urlaubszeit schon vollauf auslastet, tun wir alles Menschenmögliche, um das Versagen der Politik im Umgang mit der Corona-Pandemie nicht auf dem Rücken der Corona-Kranken auszutragen. Die hierzu erforderlichen Mittel können nicht mehr aus den Betriebsmitteln der Selbstverwaltung durch Umverteilung bereitgestellt werden, sondern erfordern Unterstützung durch Staat und Kostenträger.

Ihre

Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth,
Vorsitzende Hausärzteverband Baden-Württemberg

Dr. Susanne Bublitz,
2. Vorsitzende Hausärzteverband Baden-Württemberg

 

 

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