06. Juli 2023

Hausarzt-Patientenmagazin: Beschwerden im Körper – aber scheinbar gesund

iStock/Kateryna Onyshchuk

Hausarzt-Patientenmagazin  |  Q3 Ausgabe

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Dr. Reto Schwenke
Vorstandsmitglied Hausärzteverband Baden-Württemberg
       
 

Körperliche Beschwerden wie Kopf- oder Rückenschmerzen gehören zum Alltag. Oft handelt es sich um Störungen der Befindlichkeit, die von allein wieder verschwinden. Halten die Beschwerden jedoch länger an, ängstigen sie Sie oder beeinträchtigen Ihren Alltag, dann gehen Sie wahrscheinlich zu Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt. Rund ein Drittel aller Beschwerden, mit denen Menschen eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen, sind funktioneller Natur. Besonders häufig treten Erschöpfung, Schwindel, Schmerzen und Verdauungs-, Gleichgewichts- oder Gefühlsstörungen in Erscheinung. Dabei sind Organe und Gewebe nicht beschädigt, sondern lediglich vorübergehend in ihrer Funktion und im Zusammenspiel mit dem Gesamtorganismus beeinträchtigt. Eindeutige "Gründe" für solche Beschwerden sind selten festzumachen. Meist kommt Verschiedenes zusammen, wie Vorerkrankungen, Sorgen, Stress, traumatische Erlebnisse, Über-, manchmal auch Unterforderung.

Wie entstehen funktionelle Beschwerden?

Stellen Sie sich vor: Eine Frau leidet seit mehreren Monaten an den meisten Tagen der Woche an Bauchschmerzen, Blähungen und Verstopfung. Ihr Partner sagt: "Stell dich doch nicht so an." "Das sind bloß Befindlichkeitsstörungen", sagt ihre Hausärztin, zu der sie dann doch geht. Ein anderer Allgemeinarzt, den sie um eine zweite Meinung bittet, sagt: "Das ist etwas Nicht-Spezifisches." Eine Gastroenterologin sagt: "Das sind funktionelle Beschwerden, man nennt das Reizdarmsyndrom." Ein Psychosomatiker sagt: "Sie haben eine somatoforme bzw. eine somatische Belastungsstörung." Was hat die Frau denn nun? Ist sie überhaupt "krank"? Die Funktionsfähigkeit des Organismus wird von einer Vielzahl unterbewusst ablaufender Vorgänge bewerkstelligt. Dazu hat der Körper autonome, also ohne willentliche Steuerung arbeitende Nerven- und Hormonsysteme sowie Informationskaskaden mit Botenstoffen. Diese ermöglicht die sogenannte Homöostase. Das bedeutet, dass der Mensch aufrecht laufen kann, die Durchblutung aller Organe, die Körpertemperatur, die Befeuchtung der Schleimhäute, die Energiebereitstellung in der Zelle, die Immunabwehr, die Flüssigkeitsvolumina in den Gefäßen und Zellen und die gleichzeitige Arbeit der Sinnesfunktionen konstant funktionieren. Dieser Vorgang bedarf innerer Ausgeglichenheit, um fehlerfrei zu funktionieren. Ist der Organismus durch aufregende, stressende oder bedrückte Emotionen stark beeinträchtigt, kann das System fehlerhaft werden. Auch ungünstige Ernährung, Alkohol, Nikotin, Drogen, Geräuschbelästigungen, Belastungen durch Umweltverschmutzung oder wenig Schlaf, hektisches Essen sind Störfaktoren.

Eine Verhaltenstherapie kann helfen

Der wichtigste Schritt zur Linderung der Beschwerden besteht darin, diese Zusammenhänge gedanklich als Ursache zuzulassen. Nach einem intensiven Gespräch mit der betreuenden Hausärztin oder dem betreuenden Hausarzt sollten Betroffene dies als Einstieg in eine Verhaltenstherapie annehmen, um aus dem Teufelskreis der Beschwerdewahrnehmung auszusteigen. Dabei werden sogenannte Coping-Strategien vermittelt: Die Konzentration auf die Beschwerden wird durch andere Sinneseindrücke ersetzt. Im Verlauf können Betroffene immer mehr alternative Verhaltensweisen erlernen, die sie anstelle der Beschwerden- Registrierung und -Interpretation aktiv einsetzen können. Damit kann es gelingen, den Beschwerden immer weniger gedanklichen Raum zu gewähren und sich aus dem somatoformen Teufelskreis zu lösen – und mit kleinen Schritten eine Beschwerdelinderung herbeizuführen.

 

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