08. März 2023

Weltfrauentag, 8. März

iStock/nensuria

Corinna Ernle, Delegierte in Südwürttemberg und Hausärztin in Erolzheim, berichtet über Frauen in der Allgemeinmedizin und über den Berufseinstieg für junge Frauen in die Hausarztpraxis.
 

Hat sich das Geschlechterverhältnis speziell in der Hausarztpraxis in den vergangenen Jahren verändert – wenn ja, wie ist der Trend?

In unserer Hausarztpraxis hat sich im Laufe der Zeit das Verhältnis von zwei Männern und zwei Frauen zu einem Mann und drei Frauen verschoben. Der von mir geleitete hausärztliche Qualitätszirkel besteht aktuell aus vier Männern und sechs Frauen. Als Weiterbildungspraxis der Uni Ulm, dürfen wir regelmäßig Student:innen begrüßen. Das Verhältnis lag bisher bei ca. 60 Prozent Frauen und 40 Prozent Männer. Mein Eindruck ist, dass Frauen sich eher vorstellen können in einer allgemeinmedizinischen Praxis tätig zu werden. Ich denke das spiegelt den flächendeckenden Trend wider.


Was sind die häufigsten Fragen und Themen, mit denen sich junge Frauen beim Einstieg in eine Hausarztpraxis beschäftigen?

Ganz vorne steht die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wie schaffe ich es in beiden Bereichen gleichzeitig gut zu sein, nichts zu vernachlässigen oder zu versagen? Das Arbeitspensum ist ein wichtiges Thema - Sprechstunden/Hausbesuche/Abrechnung/Überstundenregelungen etc. Auch ein gewisses Maß an Flexibilität der Arbeitszeiten ist gewünscht. Gerade bei Frauen mit Kindern. Was, wenn das Kind krank ist? Was, wenn Ferien sind? Sechs Wochen Sommerferien sind für berufstätige Eltern nicht leicht zu überbrücken – das entspricht dem Jahresurlaub einer berufstätigen Person in Vollzeitanstellung. Ebenso wichtig sind die Möglichkeiten der beruflichen Entfaltung im Sinne von Zusatzqualifikationen und Fortbildungen. Natürlich spielt auch der finanzielle Aspekt eine Rolle. Hier ist es egal ob es um das Thema Anstellung oder Selbstständigkeit geht. Durch Nacht- und Wochenenddienste in Krankenhäusern erhält man einen gewissen Zuverdienst, den man so im ambulanten Verhältnis nicht hat. Wobei ich persönlich nachts lieber schlafe und das Wochenende gerne frei habe.


Berichten Sie gerne von Ihrem beruflichen Einstieg als junge Frau in die Hausarztpraxis. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich hatte den Vorteil in eine bereits etablierte und gut laufende Hausarztpraxis einzusteigen. Teile meiner Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin habe ich in unserer Praxis absolviert, sodass ich bereits zu Beginn praxisinterne Abläufe verinnerlichen und das Vertrauen unserer Patient:innen gewinnen konnte. Ich wurde von Anfang an als neue Hausärztin in der Praxis akzeptiert und durfte schon oft hören, wie froh alle sind, dass die Praxisnachfolge gesichert ist und unsere Patient:innen sich nicht in den nächsten Jahren eine neue Hausarztpraxis suchen müssen. Da wir eine Gemeinschaftspraxis sind, konnten wir die Aufgaben, die man als "Chef" so inne hat. untereinander aufteilen, was mir die Möglichkeit gab mich peu à peu in eben diese einzuarbeiten. Darüber hinaus haben wir ein großartiges Praxisteam, das Hand in Hand arbeitet. Das ist Gold wert und nimmt einem gerade am Anfang den Druck. Anders als zu meiner Zeit im Krankenhaus, wurde ich in den ambulanten Praxen immer direkt von den Patient:innen als Ärztin akzeptiert. Das alles macht den Einstieg in die Selbstständigkeit etwas leichter.

Ich bin der Auffassung, dass gerade im Krankenhaus noch viele Patient:innen mit dem "bärtigen Mittfünfziger" als behandelnden Arzt rechnen. Um zu verdeutlichen was ich meine, hier zwei kleine Anekdoten aus meiner Klinikzeit: Wenn Patient:innen neu auf meine Station kamen, habe ich mich immer direkt mit Namen und als behandelnde Stationsärztin vorgestellt, bevor ich zur Anamnese etc. übergegangen bin. Nachdem einmal eine Neupatientin den dritten Tag da war und ich zum dritten Mal morgens zur Visite kam, wurde ich erstmal angepflaumt. "Sie sei seit 3 Tagen hier und es sei noch kein Arzt zur Visite gekommen". Ein anderes Mal hatte ich einen PJ-Studenten (groß, bärtig) zugeteilt bekommen. Als wir morgens zusammen auf Visite sind, wurde er unerwartet von einer meiner Patientinnen nach den Untersuchungsergebnissen etc. gefragt. Sie dachte automatisch er sei der Stationsarzt bzw. würde über mir stehen.


Was würden Sie sich persönlich für die Rolle der Frau zukünftig in der Allgemeinmedizin wünschen?

In der Zukunft wird es immer mehr Frauen in der Allgemeinmedizin geben. Es ist wichtig, verschiedene Strukturen zu fördern und die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jede Frau für sich entscheiden kann ob und in welcher Form sie in ihrem Beruf arbeiten möchte. Anstellung oder Selbstständigkeit. Teilzeit oder Vollzeit. Einzelpraxis oder Gemeinschaftspraxis usw. Es gibt so viele Möglichkeiten und ich bin mir sicher, dass für jede das Richtige dabei ist! Zudem bin ich überzeugt, dass Frauen in der Zukunft eine stärkere Rolle in der Allgemeinmedizin spielen werden. Daher ist es essentiell, dass sie die Strukturen der hausärztlichen Versorgung mitprägen. Bislang sind viele Strukturen auf männliche Praxisinhaber ausgelegt, deren Frauen ihnen den Rücken freihalten. Eine Niederlassung muss auch mit berufstätigem Partner und Familie vereinbar sein. Wie bereits angemerkt, ist vielen vor allem die Work-Life-Balance wichtig. Gerade aus diesem Grund verlassen Kolleg: innen oft das Krankenhaus, da im ambulanten Sektor kein Schichtdienst geleistet werden muss, die Arbeitszeiten flexibler gestaltet werden können usw. Daher ist es ungemein wichtig, dass man in der Praxis wieder Medizin machen darf und sich nicht hauptsächlich mit Bürokratie rumschlagen muss. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist die HZV, die einem das lästige Abrechnen vereinfacht. Auch die Delegation von bestimmten medizinischen Aufgaben sollte weiter gefördert werden. Gerade VERAHs können, dürfen und sollen uns hier unterstützen.

Forum Hausärztinnen
Ziel unseres Forums ist es, Kolleginnen beim Einstieg in die Hausarztpraxis zu unterstützen und ihnen mit Hilfe unserer Mentorinnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

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